Es hätte ein heißer Herbst werden können. In diesen Tagen, am 29. April wollten sich die Tarifpartner für den Sozial- und Erziehungsdienst zum dritten und letzten Mal treffen, ehe die Gültigkeit der Entgelttabelle SuE des TVöD-VKA am 31. August 2020 ausgelaufen wäre. Bei den bundesweiten Verhandlungen wird der MLLV durch die Dachgewerkschaft dbb-Tarifunion vertreten. Und die hatte bereits angekündigt, dass es diesmal nicht nur um eine prozentuale Aufstockung, sondern um weitergehende Verbesserungen und insbesondere um neue Eingruppierungsregeln gehen sollte. Das hätte sicher wieder Streit gegeben, aber diesmal standen die Zeichen für das Erziehungspersonal günstiger – denn diesmal finden gleichzeitig auch Verhandlungen für den allgemeinen öffentlichen Dienst der Kommunen (TVöD-K) statt. Und das sind immerhin 1,5 Millionen Beschäftigte, verglichen mit etwa 740 Tausend, die bei der Entgelttabelle SuE direkt mit dabei oder an sie angegliedert sind – also im Streikfall deutlich mehr Füße auf der Straße und geballte Fäuste in der Luft.
Wie wir wissen, kam bei den Plänen eine „Kleinigkeit‟ namens Corona dazwischen. Statt dessen wird es beim Treffen jetzt wohl gar nicht mehr um die erhobenen Forderungen gehen, sondern darum, wann wir sie überhaupt stellen werden. Es riecht stark nach einer Verschiebung.
Das ist unter den gegebenen Umständen sicher nicht verkehrt. Viele Selbständige nagen durch die Quarantäne am Hungertuch, viele Fabrikarbeiter sind in Kurzarbeit, viele Firmen stehen vor der Pleite. Da ist es jetzt schon ein Privileg, im öffentlichen Dienst einen sicheren Job zu haben.
Aber: Aufgehoben ist nicht aufgeschoben. OK, für viele ErzieherInnen und KinderpflegerInnen ist der Beruf auch Berufung, und sie müssen es sich wohl gefallen lassen, dass sie hinterher gesagt bekommen: „Augen auf bei der Berufswahl!‟ Aber gerade den Münchnern kann es nicht egal sein, dass für die bisher gebotenen Gehälter viele Stellen nicht besetzt werden können. Auswärtige Jobsuchende werfen einen Blick auf die Münchenzulage, dann auf den Wohnungsmarkt, und dann kommen sie vielleicht noch mal zur Wiesn nach München. Das Bier können sie dann brauchen.
Münchner AbiturientInnen können kühl abwägen: Berufseinstieg als städtische RealschulehrerIn in E13 mit €4060 oder als ErzieherIn in S8a mit €3020, jeweils plus Münchenzulage. Ein ganzer Riese Unterschied. Und auch wenn für den Abschluss zum staatlich anerkannten Erzieher schon der Realschulabschluss reicht, die Erzieherin ist erst nach fünf Jahren fertig, während die Grundschullehrerin bereits nach dreieinhalb Jahren Regelstudienzeit im Referendariat loslegen kann – und danach mit A12 und Beamtenstatus für €3920 durchstarten darf. Caveat: Wer Pech hat, kann als Beamter zwangsweise für einige Zeit nach München versetzt werden, was bei den Betroffenen so beliebt ist wie eine Strafexpedition nach Mordor ohne Wechselwäsche. Fazit: Selbst für A12 ist München wegen der Wohnsituation an der Schmerzgrenze.
Und wer einmal die Freude hatte, einen Boy’s Day an einer Kita mitzugestalten, dem konnte es passieren, dass er die finanzielle Quintessenz dieser Erkenntnisse von seinen Schützlingen auf’s Brot geschmiert bekam. Auch bei Mittelschülern lange vor der Berufsentscheidung ist der Status des Erziehers oder gar Kinderpflegers nämlich äußerst mau. Von jenen, die man für einen Beruf in Krippe und Kindergarten erwärmen möchte, bekommt man dann zu hören, dass sie eher einen Beruf anstreben, von dem man leben oder eine Familie ernähren könne.
Und das Ergebnis ist: Es ist schlicht kein Ende des Personalmangels in Münchner Kitas abzusehen. Wie groß der jetzt schon ist, konnte jeder am eigenen Leib erfahren, der in den letzten Wochen Notdienst in der Kinderbetreuung schob. Dauernd klingelte das Telefon und nervöse Eltern fragten, wieso sie noch keine Antwort auf ihren Antrag beim Kitaplatzvergabeportal kita-Finder (http://kitafinder.muenchen.de) erhalten haben. Die Stadt München verschickt nämlich immer nur Zusagen und keine Absagen. Da musste man den Eltern dann verklickern, dass sie bei der Platzvergabe offenbar leer ausgegangen sind. Und das sind die Eltern, die eigentlich alles richtig gemacht haben. Sie haben sich rechtzeitig und langfristig, also ca. 9 Monate vorher, überlegt, wie es bei ihnen weitergehen soll: Dass sie nach Ende der Elternzeit in ihren Job zurückkehren und Steuern zahlen wollen. Sie haben sich unter den vielen Möglichkeiten mehrere passende Kitas herausgesucht, haben sie sich im Internet angeschaut und sind vielleicht auch einmal vorbei gekommen. Ihnen ist bewusst, dass man die Kinder nicht einfach so in der Kita abliefert, sondern dass es eine Eingewöhnungszeit gibt, die sie begleiten müssen. All das würden sie jetzt gerne planen, und der Arbeitgeber sitzt ihnen im Nacken. Und jetzt sitzen sie da und wissen nicht, wie es weiter gehen soll. Die Landeshauptstadt würde ihnen wohl gerne einen Platz geben, dazu ist sie sogar gesetzlich verpflichtet, aber sie kann es nicht, weil die Nachfrage das Angebot deutlich übersteigt.
Also, liebe Tarifpartner, egal wie es nach dem 29. April weitergeht: Langfristig müssen die Mittel her, um den Mangel an Erziehungspersonal in München zu lindern. Denn im Glanz der Systemrelevanz wollen wir uns gerne sonnen, aber leider können wir davon noch nicht leben.