Gesundheitsgefahren ernst nehmen und wirksam begegnen
Wenn wir an Gesundheitsgefahren am Arbeitsplatz Schule denken, denken wir normalerweise eher an Stress, Lärm und Erkrankungen von Schülern als an die Schule selbst. Sicher stehen diese Gefahren meist auch tatsächlich an erster Stelle, aber wir sollten auch andere im Blick haben. Das gilt nicht nur für Aufsehen erregende Fälle wie die Container an der Grandlschule oder die PCB-Belastung an der Eduard-Spranger-Mittelschule (MLZ berichtete). Worauf es ankommt, wie wir uns informieren können und was wir selbst im Alltag vorbeugend tun können, erfahren Sie in diesem Interview mit Architektin Petra Wurmer-Weiß. Sie ist Sachverständige für Nachhaltiges Bauen (SHB) und Freie Beraterin der Beratungsstelle Energieeffizienz und Nachhaltigkeit BEN der Bayerischen Architektenkammer (ByAK) mit den Beratungsschwerpunkten Materialökologie (Schadstoffe, Innenraumlufthygiene) und Gebäudezertifizierung.
MLZ: Wer ist in München verantwortlich für gesundheitlich unbedenkliche Schulgebäude?
Wurmer-Weiß: Bei den meisten städtischen und staatlichen Schulen ist meines Wissens die Stadt München Sachaufwandsträger, das städtische Baureferat betreut die Baumaßnahmen. Für alle Bauprojekte der Stadt München gelten umfangreiche materialökologische Anforderungen hinsichtlich des Umwelt- und Gesundheitsschutzes, die bei der Baustoffwahl von Planern und Baubeteiligten beachtet werden müssen.
MLZ: Wann werden Schadstoffmessungen in Schulgebäuden durchgeführt?
Wurmer-Weiß: Vor Nutzungsaufnahme oder nach größeren Umbau- und Renovierungs-/Sanierungsmaßnahmen wird z. B. in München bei jedem städtischen Gebäude eine Raumluftmessung (Freigabemessung) durchgeführt. Zur Abklärung von Beschwerdefällen werden auch in Bestandsgebäuden Messungen veranlasst. Auf der Website der Landeshauptstadt www.muenchen.de kann man übrigens die Zusammenfassungen der Messergebnisse– nach Straßennamen sortiert – herunterladen.
MLZ: Wie läuft eine solche Messung ab?
Wurmer-Weiß: Die Raumluftmessungen werden z. B. für städtische Gebäude in München vom Referat für Gesundheit und Umwelt (RGU) veranlasst. Das RGU wählt hier die zu messenden Räume aus, schreibt die Messaufträge aus und vergibt diese an externe Messinstitute mit entsprechender Sachverständigenkenntnis. Normalerweise werden die fertigen Räume einschließlich aller Einbaumöbel (z. B. Schrankwände), aber vor Einbringen der losen Möblierung gemessen. Zwischen Bau-Feinreinigung und Messung sollten mindestens 14 Tage liegen. Im Idealfall liegt der letzte Baustoffeintrag noch weitere 14 Tage zurück. In dieser Zeit bis zur Messung sollten die Räume gut temperiert/geheizt und vor allen Dingen gut gelüftet werden. Das ist sehr wichtig, da besonders in der Anfangsphase selbst bei sehr emissionsarmen Produkten immer mit Emissionen zu rechnen ist. „Emissionsfrei“ gibt es mehr oder weniger nicht. Die Messung vor der losen Möblierung macht insofern Sinn, als dass man nur so den Bau selbst „frei“-messen kann. Findet man beispielsweise bei Messungen in Bestandsgebäuden Stoffe, die sowohl aus der Bausubstanz als auch aus den Möbeln oder anderen Quellen kommen könnten und gibt es keine Freimessung des damaligen Neubaus, ist die Ursachenfindung deutlich schwieriger. Die Messung selbst findet i.d.R. zunächst im „Ausgleichszustand“ statt, d. h. mit mindestens acht Stunden Verschluss des zu messenden Raumes. Anschließend wird unter „gebäudetypabhängigen Nutzungsbedingungen“ gemessen, also z. B. mit eingeschalteter Lüftungsanlage oder nach Stoßlüften und 45 Minuten Verschluss.
MLZ: Wie wird sichergestellt, dass die Messung nicht manipuliert wird?
Wurmer-Weiß: Von einem Sachverständigen für Raumluftmessungen wurde mir dazu erläutert, dass bereits seit einigen Jahren üblich ist, in den verschlossenen Räumen einen „Datenlogger“ mitlaufen zu lassen. Der Datenlogger kontrolliert über die Zeit verschiedene physikalische Werte. Eine Beeinflussung des Raumklimas, z. B. durch unzulässiges Lüften, ist dadurch nicht mehr unerkannt möglich. Dies würde dann in jedem Fall im Bericht des Sachverständigen aufgeführt werden. Die Messung entspricht dann nicht mehr den Vorgaben und muss wiederholt werden.
MLZ: Welche Grenzwerte werden zur Beurteilung der Messergebnisse herangezogen?
Wurmer-Weiß: In der Regel stützt sich die Innenraumluftmessung mindestens auf die Festlegungen des AIR (Ausschuss für Innenraumrichtwerte) des Umweltbundesamtes (UBA). Dabei handelt es sich um Richt- oder Leitwerte und nicht um gesetzlich verbindliche Grenzwerte, die es für Raumluftmessungen leider nicht gibt. Die Richtwerte des UBA werden daher in der Regel auch bei gerichtlichen Auseinandersetzungen herangezogen. Ergänzend dazu hat die AGÖF (Arbeitsgemeinschaft ökologischer Forschungsinstitute e.V.) eine Liste von Orientierungswerten erstellt, die deutlich mehr Stoffe enthält als die AIR-Liste und i.d.R. auch niedrigere Richtwerte. Die AGÖF-Werte werden von Sachverständigen ebenfalls häufig zur Beurteilung herangezogen, z. B. wenn Beschwerden in Räumen bestehen (z. B. Kopfschmerzen) und man sich das nicht erklären kann. Für Formaldehyd strebt man in München bei der abschließenden Bewertung der Messergebnisse übrigens den strengeren AGÖF-Grenzwert an.
MLZ: Mit welchen alltäglichen Belastungen muss man im Klassenzimmer rechnen?
Wurmer-Weiß: Neben Emissionen von Schadstoffen aus Baustoffen und Möbeln und dem zu hohen Kohlendioxid-Gehalt in der Raumluft spielt auch Staub eine Rolle. Vom Umweltbundesamt (UBA) gibt es einen „Leitfaden zur Innenraumhygiene in Schulgebäuden“ von 2008, der sich mit all diesen Themen befasst und die Zusammenhänge m. E. ganz gut erläutert, auch wenn er schon etwas älter ist. Dort heißt es z. B zu Staub: „In Schulräumen, die regelmäßig genutzt werden, kann die Feinstaubkonzentration innen deutlich höher als in der Außenluft sein.“ Zum Feinstaub aus der Außenluft kommen Staubeinträge über Schuhe und Kleidung, Partikel von Haut und Haaren, technischen Geräten wie Kopierern oder Druckern, Zellbestandteile von Mikroorganismen mit allergener oder toxischer Wirkung und vieles mehr.
MLZ: Was kann man dagegen tun?
Wurmer-Weiß: Bereits durch regelmäßiges Lüften kann die Schadstoffkonzentration im Klassenzimmer wirksam gesenkt werden. So fordert beispielsweise der genannte UBA-Leitfaden in Bezug auf CO2: „Bei einer üblichen Raumbelegung ist ein mehrfacher Luftwechsel pro Stunde für den Klassenraum erforderlich [...]. Der notwendige Luftaustausch ist nur dadurch zu erreichen, dass alle Fenster regelmäßig kurzzeitig und weit geöffnet werden (‚Stoßlüftung‘ für mindestens 5, besser bis 10 Minuten).“ In aktuelleren Empfehlungen des UBA wird inzwischen die „Hybrid-Lüftung“ als optimal empfohlen, d.h. zusätzlich zu einer Lüftungsanlage ermöglicht eine ausreichend große Fensterfläche Stoßlüftungen. Im Alltag kann eine „CO2-Ampel“ hilfreich sein, die anzeigt, wann es sinnvoll ist, einen Luftaustausch vorzunehmen. An manchen Neubauten wird das schon standardmäßig in den Klassenzimmern installiert. Ich hatte für die Schule meiner Kinder das Projekt „Klimadetektive“ organisiert, das ich übrigens sehr empfehlen kann (vgl. den Beitrag von Frau Valvoda in dieser Ausgabe)! Die Referentin hatte eine CO2-Ampel dabei und wir waren überrascht, wie schnell der CO2-Gehalt den empfohlenen Wert überschritten hatte. Das war auch direkt an der nachlassenden Mitarbeit abzulesen. Außerdem ist eine bedarfsgerechte Schulhausreinigung wichtig. Dazu führt der UBA-Leitfaden aus: „Klassenzimmer und Tischflächen sollen mindestens jeden zweiten Tag sachgerecht gereinigt werden. Turnhallen und ähnliche Räume sind täglich zu reinigen. [...] Es wird in der DIN 77400 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in Abhängigkeit von den örtlichen Gegebenheiten [...] eine häufigere Reinigung [...] notwendig sein kann. [...] Insbesondere in den Wintermonaten und bei unbefestigten Außenanlagen sowie bei zusätzlicher Nutzung (z. B. Hortbetrieb) soll eine tägliche Reinigung durchgeführt werden.“
MLZ: Jeder kann also schon eine Menge tun. Auch die Stadt steht besonders in der Pflicht. Wir werden den Dauerbrenner „Schulhausreinigung“ weiter im Auge behalten. Herzlichen Dank für die ausführlichen und wertvollen Informationen!
Das Interview führte Martin Göb-Fuchsberger, Leiter der Abteilung Schul- und Bildungspolitik.
Umfassende Informationen erhalten Sie unter folgenden Links:
- Zusammenfassungen aller Messberichte zu Münchner Gebäuden: https://www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung/Referat-fuer-Gesundheit-und-Umwelt/Hygiene_und_Umweltmedizin/Umweltmedizin/Innenraumschadstoffe.html
- Leitfaden des UBA zur Innenraumhygiene in Schulen (2008): https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/publikation/long/3689.pdf
- Flyer des UBA „Besser lernen in guter Luft“ (2018): https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/flyer-besser-lernen-in-guter-luft
Tipp: Schulhausreinigung An vielen Münchner Schulen ist die Schulhausreinigung mangelhaft. Neben den üblichen Mängelrügen gibt es Möglichkeiten, über die Technische Hausverwaltung eine Aufstockung der Ressourcen beim RBS zu beantragen. In der Begründung ist der spezifische Bedarf vor Ort zu erläutern, ein Bezug auf die DIN 77400 und den Leitfaden des UBA sollte nicht fehlen. Hartnäckig bleiben, nachhaken und ggf. einen zweiten Antrag stellen kann im Einzelfall nötig sein. Bitte schreiben Sie mir an schulpolitik@mllv.bllv.de, falls dieses Vorgehen für Ihre Schule keinen Erfolg gebracht hat.
Ich bleibe für Sie dran! Martin Göb-Fuchsberger