Schulen stehen derzeit unter einem steigenden Veränderungsdruck, um den Bedürfnissen der Gesellschaft besser gerecht zu werden. Ob Digitalisierung, Individualisierung, Integration, Inklusion oder Bildungsgerechtigkeit, alle diese Themen haben eines gemeinsam: es handelt sich dabei um große Transformationsprojekte, die die gesamte Schulfamilie betreffen.
Wie viele Untersuchungen in der Wirtschaft und im Bildungsbereich gezeigt haben, ist der wichtigste Erfolgsfaktor für einen gelingenden Wandel einer Organisation die Führungskraft an der Spitze, also der CEO, Geschäftsführer oder Schulleiter. Nicht umsonst kennen wir alle das Sprichwort „Der Fisch stinkt vom Kopf her“. Das gilt aber natürlich auch in seiner positiven Ausprägung.
In ganz Deutschland gibt es fantastische, moderne Schulen unabhängig von der Schulform, vom Bundesland, ob in Brennpunkt-Vierteln oder auf dem Land. Die äußeren Einflussfaktoren sind zweitrangig, der Fokus liegt in der Persönlichkeit, der inneren Haltung und den Kompetenzen der Führungskraft.
Weder Gesetze noch die Kultusministerien oder Schulbehörden können Schulen verändern. Sie können Rahmenbedingungen dafür schaffen, aber die Hauptverantwortung für die herausfordernde Transformationsaufgabe liegt bei den SchulleiterInnen und Ihren Teams.
In einer Zeit, in der sich fast nur noch Idealisten auf eine offene Schulleitungsstelle bewerben, gibt es hierfür noch viel Raum an Verbesserungsmöglichkeiten.
Führung vs. Verwaltung und Management
Führung ist ein eigener Beruf, mit eigenen Haltungen und Kompetenzen. Das scheint selbstverständlich, doch ist es häufig nicht. Die Annahme, dass der beste Lehrer, Betriebswirt oder Ingenieur die beste Führungskraft sein wird, ist häufig ein Trugschluss. Denn während es bei den genannten und vielen anderen Berufen in erster Linie um die Fachorientierung geht, geht es bei der Führung in erster Linie um das Menschliche, um die Arbeit an und mit Personen.
Der amerikanische Organisationsguru Stephen Covey hat es so formuliert: „Wir führen Menschen und wir managen Dinge“.
Wenn es aber in erster Linie um die menschlichen Aspekte geht, dann spielt die Persönlichkeit, die innere Haltung die Hauptrolle. Führungskräfte können nur so führen, wie sie sind. Oder sie müssten sich permanent verstellen, wodurch sie ihre Authentizität verlieren würden. Damit ist die erste Führungskompetenz das „sich seiner selbst bewusst sein“: „Was löse ich bei anderen aus?“, „Wann reagiere ich emotional?“, „Was triggert mich bei anderen Menschen?“, „Erlaube ich mir, Fehler zu machen?“, „Kann ich die Kontrolle abgeben?“, „Habe ich den Mut, Dinge beim Namen zu nennen?“ und „Kann ich auch in Zeiten von Krisen und Uneindeutigkeit Ruhe bewahren?“, „Bin ich bereit, meine Komfortzone zu verlassen, den Raum auszuschöpfen, den neue Gesetze mir geben um die Schulfamilie in unbekanntes Terrain zu führen?“, „Habe ich Lust zu gestalten oder ziehe ich mich zurück in die Verwaltung?“
Diese und viele weitere Fragen sollten sich Menschen stellen, die eine Führungsposition anstreben, aber auch die Menschen, die Führungskräfte einstellen, sollten diese Fragen stellen. Persönlichkeitsassessments können helfen, dass sich sowohl die potentielle Führungskraft als auch der künftige Vorgesetzte darüber im Klaren werden.
Was heißt es nun „zu führen“?
Gute Führung kann unter den folgenden 3 Überschriften zusammengefasst werden:
Bindungsorientierung Ergebnisorientierung Stärkenorientierung
1. Bindungsorientierung
Wie der Name schon sagt, geht es hier in erster Linie um die Fähigkeit, eine ganzheitliche Verbindung mit Menschen aufzubauen. Dazu gehören die Kompetenzen wie Empathie, emotionale Intelligenz, Vertrauenswürdigkeit, Dialogfähigkeit und Zuhören können, aber auch Inspirator und Sinnstifter zu sein. Ziel ist es, dass Menschen sich freiwillig mit der Führungskraft auf den Weg des Wandels begeben. Dazu agiert die Führungskraft auch als Architekt für die Kultur, indem sie klare Visionen, Missionen und Werte mit den Teammitgliedern erarbeitet. Als Veränderungskatalysator stellt sie permanent den Status-Quo in Frage und sorgt dafür, dass die Realität beim Namen genannt wird und Konflikte zur Auflösung kommen. Teamentwicklung, Ermutigung zur Selbstorganisation und Schaffen von Räumen für Kooperation über alle Hierarchie- und Fachgrenzen hinweg runden die Aufgabenstellung der Bindungsorientierung ab.
2. Ergebnisorientierung
Die gute Führungskraft sorgt dafür, dass gemeinsame kurz- und langfristige Ziele entwickelt werden und diese mit einem regelmäßigen Follow-up-Prozess verfolgt und wenn nötig korrigiert werden. Sie sorgt für eine effiziente, aber auch freudvolle Meeting-Kultur und stellt bei sich selbst und bei anderen sicher, dass Entscheidungen zügig und kompetent getroffen werden.
3.Stärkenorientierung
Wie bereits weiter oben erwähnt, ist sich die Führungskraft ihrer eigenen Stärken und Schwächen bewusst, reduziert limitierende Aspekte, die ihre Potentialentwicklung hemmen und sorgt durch Kompensationsmechanismen dafür, dass ihre Schwächen durch die Stärken anderer ausgeglichen werden. Sie erkennt die Entwicklung ihrer Mitarbeiter als eine ihrer wesentlichen Aufgaben und stellt Teams möglichst so zusammen, dass eine Vielzahl von unterschiedlichen Kompetenzen und Perspektiven zusammenkommen. Bei der Einstellung neuer Mitarbeiter wird sie nicht nur auf die Fachkompetenz, sondern auch auf die Kompatibilität zur gewünschten Organisationskultur achten. Einer Führungskraft, der es nicht erlaubt wird, ihre eigenen Mitarbeiter auszuwählen, wie es an deutschen Schulen häufig der Fall ist, wird ein wesentliches Merkmal für effektive Führung aus der Hand genommen.
Führungskräfte bringen aufgrund ihrer eigenen Persönlichkeit und ihres Bewusstseinslevels typische Führungsstile mit. Da sie aber eine Vielzahl von unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlichen Persönlichkeitsmerkmalen in unterschiedlichen Situationen zu führen haben, ist es wichtig, im Laufe der Zeit Zugang zu mehreren Führungsstilen zu entwickeln. Das ist keine einfache Aufgabe, da es sich einerseits um Persönlichkeitsentwicklung handelt und andererseits um das Erlernen neuer Kompetenzen.
Führungsstile:
Krisenmanager
Die gerechte Autorität
Der Experte und Mentor
Der sensible Begleiter
- Fähigkeit zum Umgang mit Widrigkeiten
- Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen
- Direktiv, gibt Anweisungen
- Kontrollierend
- Evtl. diktatorisch und ausbeutend
- Lebt Macht und Stärke, setzt klare Grenzen
- Muss sich permanent Respekt verschaffen
- Strikte Disziplin und Kontrollen
- Top-Down-Hierarchie
- Bestrafung zur Besserung
- Viele Verbote, Gesetze, Moral, Regeln
- Ideologisch, der Vision verpflichtet
- Sehr sachlich, vermeidet Emotionen
- Strategische und taktische Planung und Organisation
- Wettbewerbsposition der Organisation stärken
- Leistungsanreiz
- Logik, Objektivität
- Menschen sind zweitrangig
- Bewerten, evaluieren, optimieren
- Führen über Ziele und Feedback
- Visionär, partizipativ, werteorientiert
- Kollegial, freundschaftlich, teamorientiert
- Offen, transparent
- Authentisch
- Achtsamkeit auf die Atmosphäre
- Raum für Gefühlsausdruck
- Bei Nonkonformisten: Entzug von Zuwendung und Trennung
Im Gegensatz zur Führungskraft beschäftigt sich der Manager oder Verwalter in erster Linie mit der Arbeit an und mit der Organisation, d.h. der Fokus liegt auf der Sachebene. Dazu gehören das Aufsetzen von wirksamen Prozessen und Regeln, die Entwicklung von Maßnahmen zur Zieleerreichung sowie die Planung und Steuerung von Ressourcen wie Zeit und Geld. Während sich die Führungskraft mehr mit den langfristigen und wichtigen Aspekten beschäftigt, kümmert sich der Manager oder Verwalter eher um kurzfristige und dringende Dinge.
Effektives Management erfordert, dass Führung präsent ist.
Fazit
Gut ausgebildete Führungskräfte sind der Schlüssel für den Wandel, den das 21. Jahrhundert erfordert. Das gilt sowohl für die Wirtschaft als auch für das Bildungssystem. Der derzeit gravierende Mangel an Bewerbern für Schulleitungspositionen zeigt, dass bessere Bedingungen und neue Lösungsansätze gefunden werden müssen z.B. ein System, das eine „Pipeline von High Potentials“, wie wir es aus der Wirtschaft kennen, bereitstellen kann, aber auch zuzulassen, dass externe Führungskräfte, die „Führung“ gelernt haben, eine Position als Schulleiter einnehmen können. Darüber hinaus sehe ich es als wichtig an, dass Schulleitungen von Verwaltungsaufgaben entlastet werden, neue Schulleitungen zu Beginn durch Coachingmaßnahmen unterstützt werden und ihre Vorgesetzten auf allen Ebenen zu einer Haltung der Unterstützung finden können, deren Hauptaufgabe es ist, die Schulleitungen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln erfolgreich zu machen. Nur so kann aus meiner Sicht der dringend gebrauchte Wandel des deutschen Schulsystems zu den Anforderungen des 21. Jahrhunderts hin erreicht werden.
Franz Neumeyer
Globaler Führungs- und Transformationscoach – Wege im Wandel
Geschäftsführender Gesellschafter der Coaching Initiative gUG