Wir befinden uns momentan in einer „Digitalen Pubertät“ konstatiert der Bildungsexperte und Erziehungswissenschaftler Jöran Muuß-Merholz. Vieles im Bereich digitaler Entwicklung und auch digitaler Bildung wird ausprobiert, läuft ungeordnet, ersetzt lediglich ein vorheriges Medium mit einem digitalen ohne qualitativen Mehrwert; es entsteht aber auch Neues: Neue Formen der Zusammenarbeit, neue Formen des in Kontakttretens und -bleibens, neue Formen der Ideenfindung und -verarbeitung, neue Präsentationsformen, usw. Und, um im Bild der Pubertät zu bleiben: Keiner vermag so richtig vorherzugsagen, wohin das Ganze führt, was sich als Irrweg herausstellen und was dauerhaft bleiben wird, wie unser Selbstverständnis und auch das von Bildung dadurch möglicherweise grundlegend verändert wird.
Soviel zur Digitalen Pubertät „im Großen“. Durch die unversehens über uns hereingebrochene Krise wurde uns mehr oder weniger schmerzhaft bewusst, dass auch Schule und damit auch Seminar in einer digitalen Pubertät stecken. Ich möchte das aber durchaus nicht negativ sehen, sondern v. a. auch die Chancen beleuchten, die doch in jeder Pubertät stecken. Folgender Bericht erhebt dabei keineswegs den Anspruch, den Seminarbetrieb während Coronazeiten zusammenzufassen, sondern will lediglich als ein Erfahrungsbericht gesehen werden. Wir wissen, dass die Reifezeit individuell höchst unterschiedlich verläuft und dennoch (oder deswegen?) Wunderbares entsteht. Dies sollten wir durchaus auch zulassen.
In meinem Grundschulseminar versuchten wir über MS TEAMS in Kontakt zu bleiben, das mittlerweile auch im pädagogischen Netz der Stadt München auf Antrag bereitgestellt wird. Die Möglichkeit der Videokonferenzen, der Gruppen- und Einzelchats, der themenspezifischen Dateiablage, der Aufgabenverteilung und der Einbindung vielfältiger Apps und Notizbücher machen TEAMS zu einem wirkmächtigen digitalen Werkzeug. Einen ganzen Vormittag in der Videokonferenz zu sein, macht dabei natürlich wenig Sinn. Es braucht, wenn jeder von einem anderen Ort aus arbeitet, kollaborative Tools, die wir uns erschlossen haben und von denen einige hier vorgestellt werden.
MS SWAY ist eine kostenlose App, mit der Newsletter, Online-Präsentationen und Dokumentationen erstellt werden können, die veränderten Lesegewohnheiten entgegen kommt. Dabei kann auf vorgefertigte Layouts zurückgegriffen werden. Ein Sway passt sich dabei dynamisch verschiedenen Endgeräten an, so dass es auf jedem Bildschirm toll aussieht. Das Tolle dabei ist, dass durch Teilen eines Links gleichzeitig verschiedene Anwender an der Präsentation bzw. Dokumentation arbeiten können. Der damit einhergehende Nachteil ist, dass das Ganze cloudbasiert ist und es somit zum Austausch schützenswerter Daten eher nicht geeignet ist.
Mit der App MS Forms lassen sich mühelos Umfragen und Quiz erstellen, die automatisch sowohl grafisch als auch in einer Excel-Tabelle ausgewertet werden. Diese Umfragen könnten auch für die Elternarbeit genutzt werden. Datenschutzrechtliche Bedenken könnten dabei mit der Eingabe von Synonymen bzw. – wenn möglich – ohne Abfrage persönlicher Daten gelöst werden.
Auf dem Markt gibt es auch verschiedene Mindmap-Tools, die kollaboratives Arbeiten ermöglichen. Wir nutzten Mindmaps von mindmeister.de, die es uns ermöglichen, gemeinsame Ideensammlungen (z.B. für das Homeschooling), Zusammenfassungen und Lernskripte zu erstellen. Diese können in Word-Dokumente, pdfs und auch PowerPoint-Präsentationen umgewandelt werden. In der kostenlosen Basisversion stehen drei Mindmaps zur Verfügung.
Um die Nutzung dieser oder ähnlicher Werkzeuge, die aus der Notwendigkeit der Krise entstanden ist, dauerhaft sicherzustellen, braucht es von der Politik entsprechende Rahmenbedingungen: Wir brauchen für eine zeitgemäße Seminararbeit nicht nur mobile Hardware, sondern v.a. auch entsprechende Softwarelösungen. Wichtig ist dabei auch eine Sicherheit in datenschutzrechtlichen Fragen. Gleichzeitig wäre es auch wünschenswert, dass neben den erforderlichen Rahmenbedingungen als notwendige Unterstützung der Pubertät – hier komme ich wieder auf das Anfangsbild zurück – auch Gestaltungsfreiheit zugelassen wird, damit individuelle Entwicklung ermöglicht wird und auf die unterschiedlichen Bedingungen vor Ort in personeller als auch in räumlicher Hinsicht reagiert werden kann. Was digitale Bildung nicht ersetzen kann, ist das Lernen in Verbindung von Kopf, Herz und Hand. Auch im Seminar ist dies essentiell. Daher wünschen wir uns natürlich auch gute Lösungen, um bald wieder persönlich zusammenkommen zu dürfen.