Zu Beginn des Jahres verkündete der bayerische Ministerpräsident Dr. Markus Söder, dass die Schulen im Freistaat zunächst geschlossen bleiben und das Unterrichtsgeschehen erneut auf Distanzunterricht ausgelegt wird. Die Schulen seien dafür ausgerüstet. Konzepte erarbeitet. Die digitale Infrastruktur gegeben.
Soweit die Theorie der politischen Mandatsträger.
Dass jedoch die Gleichung Präsenzunterricht = Distanzunterricht hinsichtlich der Arbeitsbelastung nicht aufgeht, wurde nicht berücksichtigt und war tendenziell jedem klar, der in der Schule arbeitet. Doch für viele in der Gesellschaft war der Eindruck eher umgekehrt.
Die Mär vom faulen Lehrer ging mal wieder um.
Befeuert von Beiträgen, wie man sie z. B. beim Onlineauftritt der BR-Sendung „quer“ fand. Dort wurden die Herausforderungen im Distanzunterricht aufgezählt und als einer der wichtigsten Punkte von gutem Distanzunterricht wurden engagierte Lehrkräfte genannt. Soweit so richtig. Es wurde dann aber mit Zahlen aus dem ersten Lockdown suggeriert, dass 42 % der Lehrkräfte jetzt einen geringeren Arbeitsaufwand hätten. Geht’s noch? Mit Zahlen vom Mai 2020?
Seitdem ist eine Menge passiert! Der erste Lockdown ließ viele Lehrkräfte eher hilflos zurück. Sie hätten wahrscheinlich gerne mehr gemacht, aber auf einen kompletten Lockdown war niemand vorbereitet und vor allem keiner dafür ausgebildet!
Aber wir haben unsere Hausaufgaben im Herbst gemacht, Fortbildungen besucht, Programme und Hardware angeschafft und unsere Schülerinnen und Schüler darauf vorbereitet.
Ende Januar 2021 ging der MLLV deshalb selbst nochmal dieser Frage nach und wollte von seinen Mitgliedern genau wissen, wie sie die Arbeitsbelastung im Distanzunterricht empfinden. Das Ergebnis war eindeutig und lässt keinen Interpretationsspielraum zu:
Insgesamt 85 % aller teilnehmenden Mitglieder (Anmerkung: Teilnehmerzahl lag bei 1.122) empfanden die Arbeitsbelastung im Distanzunterricht als „höher“ - 51% sogar als „deutlich höher“.
Welche Gründe kann dieses Empfinden haben? Offensichtlich waren gerade die Grund- und Mittelschulen nicht so gut auf das Homeschooling vorbereitet, wie es die Politik suggerierte.
Die Vorstellung, dass alle Grund- und Mittelschüler ohne zum Großteil intensive Hilfestellung der Lehrkräfte selbstständig einen MS Teams Account anlegen und diesen auch nutzen können, ist einfach grotesk und wird der Realität in keinster Weise gerecht. Gerade diese Schülerklientel ist seit Jahren in der Schulpolitik im Bereich Ausstattung, benötigte Förderungen und intensive Betreuungsangebote hinten angestellt worden. Es liegt auf der Hand und ist nicht verwunderlich, dass diese dann auch während des Distanzunterrichtes engmaschiger von der Lehrkraft durch die Arbeitsaufträge sowie die täglichen Unterrichtsstunden geführt werden muss. Vorhandene analoge Arbeitsmaterialien müssen aufwendig digital aufbereitet werden, damit sie gewinnbringend eingesetzt werden können.
Viele Lehrkräfte kopierten, bastelten und packten was das Zeug hält, damit sie ihre Schüler mit anregenden Materialien versorgen konnten, vor allem Grundschullehrkräfte seien hier besonders erwähnt. Einem Kind in der ersten Klasse Lesen und Schreiben im Distanzunterricht beizubringen, verdient höchste Anerkennung.
Zusätzlich zum Distanzunterricht wurden die Lehrkräfte dann noch für die Notbetreuung in den Schulen eingesetzt. Koordinierungen und unzählige Gespräche mit Schülerinnen und Schülern, Schulleitungen und Schulsozialarbeit, seien nur am Rande erwähnt.
Einer der größten Punkte für die empfundene Mehrbelastung ist zweifelsohne die Fusion von Privat- und Arbeitsleben.
Von vielen wird erwartet, dass man als Lehrkraft rund um die Uhr erreichbar ist. Viele haben auch von sich aus den Anspruch, für ihre Klasse bestmöglich erreichbar zu sein. Ein klarer Arbeitsbeginn und ein klares Ende fehlen.
Hinzu kommt, dass Lehrkräfte, wie so häufig in der Vergangenheit, erneut eigene finanzielle Mittel in die Hand nehmen mussten, um den Distanzunterricht zu gewährleisten. Darunter fallen die notwendigen Anschaffungen digitaler Hardware für Zuhause, Lizenzen und Gebühren für digitale Lernplattformen oder etwa ein zweites, privates Handy, welches als Diensttelefon eingesetzt werden kann. Dienstgeräte? Diensthandys? Übernahme der Kosten? Fehlanzeige! So verwundert es nicht, dass von den Umfrageteilnehmern 74 % angaben, dass sie zusätzliche Ausgaben für digitale Endgeräte und Software tätigten. Der Mittelwert hierfür wurde mit 640 € berechnet. Bei vielen beliefen sich die Ausgaben auch auf weit über 1000 €.
Statt Dank oder finanzieller Bezuschussung seitens der Politik für diese Eigeninitiative wurden nunmehr auch die Faschingsferien gestrichen. Welches Zeichen dies in die Gesellschaft trägt, ist unverkennbar. „Die Lehrkräfte hatten bisher `nur` Distanzunterricht“, deswegen benötigen sie auch keine Ferien. Die fehlende Wertschätzung seitens der Politik für unsere Arbeit ist ein Armutszeugnis. Wenn Corona endlich vorbei ist, wird man sich intensiv zusammensetzen und darüber nachdenken müssen, wie Lehrkräfte in ihrer täglichen Arbeit mehr unterstützt werden können, statt sie zusätzlich zu belasten. Denn eines ist gewiss: Die Engpässe, die seit Jahren an den Schulen ausgeglichen werden müssen – Stichwort: Lehrermangel – werden in Coronazeiten deutlicher denn je.
Christian Gingele
Wolfgang Rudolph