Sehr geehrte Frau Ministerin,
mit großer Sorge nehmen wir als Vertreter der Schulleitungen und Lehrkräfte die aktuelle Umsetzung der verpflichtenden Sprachstandserhebung zur Kenntnis. Die an uns herangetragenen Rückmeldungen aus den Schulen zeigen, dass dieses Verfahren nicht wie beabsichtigt zu einer Erleichterung der Verwaltungsaufgaben führt, sondern im Gegenteil die Bürokratie massiv erhöht und zu erheblichen Belastungen für die Schulen führt.
1. Exzessive Bürokratie und erheblicher Verwaltungsaufwand
Die Schulen sind durch die Vielzahl an vorgeschriebenen Formularen, Nachweisen und Bescheiden (über Verpflichtungen, Befreiungen, Ordnungswidrigkeitenverfahren etc.) erheblich administrativ belastet. Der notwendige Dokumentationsaufwand ist unverhältnismäßig und nimmt wertvolle Zeit in Anspruch, die für die eigentliche pädagogische Arbeit dringend benötigt wird. Die Einleitung von Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen Eltern, die ihre Kinder nicht zur Sprachstandserhebung bringen, stellt zudem einen unnötigen Eskalationsmechanismus dar, der die Beziehung zwischen Schule und Elternhaus belastet.
2. Unklare Zuständigkeiten und Schulungsprobleme
Es ist bereits jetzt absehbar, dass es nicht genügend qualifizierte Personen geben wird, die die Sprachstandserhebungen durchführen können. Aufgrund unzureichender Planung und Vorbereitung müssen zahlreiche Nachschulungen stattfinden, um die notwendigen Fachkräfte bereitzustellen. Schulen werden gezwungen sein, kurzfristig Personal aus anderen Bereichen zu rekrutieren oder unvorbereitetes Personal einzusetzen. Wieder einmal werden Schulleitungen und Lehrkräfte mit organisatorischen Problemen allein gelassen, weil in der politischen Planung die Realität an den Schulen ignoriert wurde.
3. Fehlende Flexibilität bei individuellen Bedarfen
Die strikte Verpflichtung zum Besuch eines Vorkurses in einer staatlich geförderten Kindertageseinrichtung, ohne auf individuelle Bedarfe und alternative Möglichkeiten einzugehen, zeigt wenig Praxisnähe. Noch problematischer ist jedoch, dass zwar ein immenser Aufwand betrieben wird, um die Testpersonen zu schulen, während gleichzeitig das eigentliche Problem – der gravierende Mangel an Personal für die anschließende Förderung – vollkommen ignoriert wird. Die Sprachstandserhebung dauert 30 Minuten, doch für die monatelange nachfolgende Sprachförderung gibt es kaum qualifiziertes Personal. Offenbar ist die Testung wichtiger als die eigentliche Förderung der Kinder.
4. Fehlende Rücksicht auf reale Schulkapazitäten
Viele Grundschulen haben weder die personellen noch die räumlichen Kapazitäten, um die Sprachstandserhebungen in dem vorgesehenen Zeitraum und Umfang durchzuführen. Während von ministerieller Seite angestrebt wird, dass die Testungen eine Entlastung bewirken, zeigt sich in der Praxis das Gegenteil: Terminnot, unzureichende Ressourcen und kurzfristige Anpassungen stellen Schulen vor kaum lösbare Herausforderungen.
5. Demotivierung durch fragwürdige Personalentscheidungen
In mehreren Schulen wurde berichtet, dass erfahrene Lehrkräfte, insbesondere Förderlehrkräfte, nicht als Testpersonen zugelassen werden, obwohl sie über langjährige Erfahrung in der Sprachförderung verfügen. Diese Ablehnung stößt auf Unverständnis und Verärgerung in den Kollegien. Wenn Lehrkräfte mit umfassender Erfahrung in Sprachförderung nicht für eine vergleichsweise simple Testung zugelassen werden, entsteht der Eindruck, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Dies führt nicht nur zur Demotivation der betroffenen Lehrkräfte, sondern auch zu einem allgemeinen Vertrauensverlust in die Entscheidungsprozesse.
Wir fordern daher:
• Eine drastische Reduzierung des Bürokratieaufwands und eine Verschlankung der Prozesse
• Eine bessere Schulung und frühzeitigere Einbindung der Testpersonen, jedoch nicht auf Kosten der Förderung der Kinder
• Mehr Flexibilität in der Umsetzung, insbesondere im Hinblick auf individuelle Lösungen für Sprachförderung
• Eine realistische Einschätzung der Schulkapazitäten und eine praktikable Anpassung der Vorgaben
Wir freuen uns auf Ihre Stellungnahme zu diesen drängenden Problemen und stehen gerne für einen konstruktiven Dialog zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Schmid, 1. Vorsitzender