FACHLEHRER MÜSSTE MAN SEIN…



Seit über 30 Jahren arbeite ich als Fachlehrerin für Ernährung und Gestalten mit großer Leidenschaft - in den letzten Jahren spüre ich jedoch wie die Verhältnisse von Jahr zu Jahr schwieriger werden.

Auch für dieses Schuljahr hätte ich mir gewünscht, die Situation würde sich im Vergleich zum letzten Schuljahr verbessern – sie hat sich verschlechtert. Waren letztes Jahr die Gruppen schon zu groß (17, 18 Schüler) sind es heuer auch in der 3. Jahrgangsstufe ganze Klassen. Konnte man im letzten Schuljahr noch auf die Anzahl der vorhandenen Arbeitsplätze Rücksicht nehmen, damit ein Arbeiten in allen im Lehrplan vorgesehenen Lernbereichen stattfinden kann, rückt man nun auch davon ab. Bis zu welcher Belastungsgrenze von Fachlehrern will man gehen?

Nun sind es 22 Kinder in der 3. Klasse. Die 1. Und 2. Klassen liegen schon seit Jahren in der Hand der Klassenlehrer – natürlich auch in ganzer Klassenstärke. Man kann es den Kolleginnen nicht verübeln, dass dadurch viele Inhalte zu kurz kommen. „Sticken mit 22 Kindern – das mache ich nicht“. Verständlich es ist auch kaum machbar. WG bleibt deshalb manchmal in der 1. Und 2. Klasse eine Randerscheinung. So kommt es, dass die Kinder in der 3. Klasse oft das erste Mal eine Nadel in der Hand halten, Grundbegriffe und Grundfertigkeiten noch nicht beherrschen bzw. noch gar nicht kennenlernen durften.

22 Kinder – 4 davon mit besonderem Förderbedarf, 4 weitere Kinder traumatisiert, geflüchtet noch nicht richtig hier angekommen. Migrationshintergrund bei 85 % der Kinder. Kinder, für die ich mir gerne Zeit nehmen würde, denen ich zuhören und helfen möchte, denen ich in Ruhe Dinge erklären möchte, die für andere bereits selbstverständlich sind. Einige der vorgesehenen Inklusionsstunden konnte unsere Schulleitung auch für die Unterstützung der Fachlehrer bereitstellten. Das ist ein guter Weg, die Situation zu verbessern.

In keinem anderen Unterricht werden alle Sinne beim Lernprozess so intensiv verknüpft, wie im praktischen Unterricht. Das Planen eines Herstellungsprozesses mit der dazugehörigen Auswahl und Erprobung geeigneter Materialien und Werkzeugen und schließlich die Wahl der richtigen Arbeitstechnik fordert vom Kind eine sehr hohe kognitive Leistung. Kinder lernen durch die bewusste Auswahl von Werkstoffen nach deren Eignung für ein geplantes Projekt zum einen die Eigenschaften zu erforschen und, nach den für das Werkstück benötigten Eigenschaften zu fahnden und dann eine Entscheidung zu treffen. Ergebnisse werden von den Kindern präsentiert und begründet. Damit ist auch der Erwerb von Sprache und Ausdrucksfähigkeit eng mit den Lerninhalten des Fachunterrichts verknüpft.

Im Mittelpunkt steht eine motivierende Gestaltungsaufgabe, z. B. ein Spieltier aus Stoffen. Zunächst wählen Kinder aus verschiedenen Stoffen, Nadeln und Garnen geeignete aus. Sie erkennen, dass sich beispielsweise sehr dünne und fransende Stoffe ebenso schlecht zuschneiden lassen als zu feste Stoffe. Das Spieltier sollte auch weich und belastbar sein - man will damit ja spielen. Bei der Auswahl geeigneter Nadeln stellt das Kind fest, dass stumpfe, zu dicke Nadeln den Stoff nicht durchdringen können. In dünne Nadeln kann ich jedoch nur sehr dünnes Nähgarn einfädeln. Wie reißfest muss der Faden sein ….

Das Erlernen geeigneter Arbeitstechniken kann ebenfalls durch selbständiges Experimentieren erfolgen. Im Beispiel versucht das Kind Stiche zu finden, die zwei Stoffteile haltbar miteinander verbinden. Fehler dürfen, ja müssen passieren – auch das ist für das Kind eine sehr wichtige Erfahrung. Kindern muss die Angst genommen werden, Fehler zu machen. Für unsere Zukunft sind innovative Menschen mit Entdeckergeist, die auch quer denken dürfen, planen können und handwerkliches Geschick mitbringen, unglaublich wichtig.

Kinder erleben im Fachunterricht stets den direkten haptischen Umgang mit den Materialien. Durch den Einsatz aller Sinne hat das Erlebte einen sehr hohen Wiedererinnerungswert.

Gerade in der heutigen Kindheit ist der haptische, sinnliche Umgang mit Materialien nicht mehr selbstverständlich. Viele haben erstmals Kontakt mit Stoffen mit Wolle mit Draht, Ton oder Holz. Begriffe, um Eigenschaften und Arbeitsprozesse zu beschreiben, sind noch unbekannt und werden beim praktischen Umgang mit Werkzeugen, Techniken und Materialien erlernt.

Nicht zu vergessen der kreative Prozess, das Erlernen und Einüben von Gestaltungsregeln und schließlich der große Stolz auf selbstgeschaffene Werkstücke mit der damit verbundenen Steigerung des Selbstwertgefühls. Kinder vertiefen sich oftmals so in den kreativen Schaffungsprozess, dass die Pause viel zu schnell kommt und sie am Ende der Stunde am liebsten weiterarbeiten würden. Oft wollen die Kinder Material mitnehmen, um auch zu Hause gestalten zu können.

Von großer Bedeutung im Fachunterricht sind auch Inhalte sozialen Lernens: Hilfsbereitschaft, Austausch von Erfahrungen, Kinder erklären sich gegenseitig wie es weitergehen könnte, helfen mit Material aus, teilen, arbeiten gemeinsam an einer Sache.

22 Kinder – da wird praktischer, konstruktiver Unterricht, mit kreativen Schaffensphasen und mit differenzierten Material- und Werkzeugeinsatz zur Herausforderung, vor allem da zum Teil Kinder mit einfachsten praktischen Aufgaben an ihre Leistungsgrenze kommen.

Die Forderung nach einer absoluten Höchstgrenze von 12 Kindern – speziell in Schulen mit Inklusion und sehr heterogener Schülerschaft ist ein absolutes Muss. Auch im Fachunterricht benötigen wir, ebenso wie in den grundlegenden Fächern Lernschienen und Einsatz von Inklusionsstunden zur Differenzierung. Nur dann kann es gelingen, dass sich die Fachlehrerin Zeit für Kinder nehmen kann, die noch kaum Erfahrungen im Werken und Gestalten gemacht haben oder es auch auf Grund einer Behinderung schwerer haben. Selbst einfache Dinge wie einen Knoten knüpfen, Faden einfädeln, Wolle in einer bestimmten Länge abschneiden oder mit der Schere gleichmäßig und genau zu schneiden, sind für einige Kinder alleine nicht lösbar und erfordern geduldige Hilfe seitens der Lehrerin. Daneben warten wissenshungrige Kinder mit vielfältigen häuslichen Vorerfahrungen zu Recht auf differenzierte Förderung.

Fachlehrerinnen, die allen Facetten des vielfältigen Berufs gerecht werden möchten, beantragen häufig Teilzeit, da in Vollzeitarbeit die hohe Stressbelastung kaum zu bewerkstelligen ist. In 29 Unterrichtsstunden soll die Fachlehrerin z. B. 350 Kinder beim Namen nennen (möglichst nach der ersten Schulwoche), die Kompetenzerwartungen formulieren, individuelle Entwicklungsmöglichkeiten festhalten, liebevoll fördern, beurteilen und bewerten.

Die Belastungsgrenze von Fachlehrerinnen und Fachlehrern, ob für Ernährung und Gestaltung oder den musisch/technischen Bereich und Kommunikation ist überschritten - und das seit Jahren. Besonders München hat einen extremen Mangel an Fachlehrkräften.

Wird man als Fachlehrerin nach München versetzt, muss man sich Anfang September eine so überteuerte Wohnung suchen, dass ½ - 2/3 des Einkommens dafür aufgewendet werden muss. Ist das gerecht – müssten diese Lehrerinnen nicht einen finanziellen Ausgleich erhalten? Müssten Wohnungen zu bezahlbaren Preisen zur Verfügung gestellt werden? Diese Fragen müssen Staat und Stadt künftig beantworten, wenn sie mehr Personal in München haben möchten. Andererseits wird die Spirale immer enger. Sie dreht sich seit Jahren – immer schneller, immer enger.

Einige Lehrerinnen treten den Dienst in München erst gar nicht an. Das ist nur einer der vielen Gründe für den entstandenen Fachlehrermangel. Die Forderungen der Fachgruppe EG bleiben seit Jahren unbeachtet.

Es darf nicht sein, dass die Fehlplanung der letzten 20 Jahre auf den Rücken der Fachlehrer und der Kinder ausgetragen wird. Fachlehrer zu sein ist ein wunderschöner Beruf – sofern die Arbeitsbedingungen stimmen!

Sieglinde Stanzl FoLin MLLV-Ausschussmitglied