Sibler


Analoge Daten mit kultusministeriellem Stift erfasst


BILDUNGSPOLITIK | Vor 10 Jahren stattete die MLLV-Vorsitzende ihren ersten Antrittsbesuch im Staatsministerium bei Bernd Sibler, damals Staatssekretär, ab. Ein Jahrzehnt später begrüßt Bernd Sibler Waltraud Lučić als Kultusminister. Ministerpräsident Söder hat keinem bildungspolitischem Neuling die Führung des Hauses übergeben. In den 10 Jahren hatten sich die Wege der Gesprächspartner immer wieder gekreuzt. An das konstruktive, wertschätzende Miteinander, mit dem Ziel einer gelingenden und gerechten Bildungspolitik, kann nahtlos angeknüpft werden. Sibler will den Lehrkräften und allen Kindern gerecht werden. Seine Sorge gilt der Überbelastung, der er Einhalt gebieten möchte und daher auch die Lehrkräfte um Selbstfürsorge bittet. Dank der klaren Gesprächsführung konnte in einer Stunde Münchens Schwerpunktthemen erfasst werden.

Unterstützung erfuhr Lučić in den ersten Gesprächsminuten als sie verzweifelt einen Stift zum Festhalten der Gesprächsnotizen suchte. Auch Im digitalen Zeitalter gehen Handschriftliche Notizen oftmals schneller als die Eingabe per Tastatur oder Touchscreen. 

Mit Hilfe eines Smartpens würden sich handschriftliche Notizen in digitale Formate umwandeln und auf den PC übertragen lassen. Ob der Stift des Kultusministers ein Smartpen ist?

Bernd Sibler zeigt Interesse an Besonderheiten.

Besonderheiten der Schulstadt München

München ist eine große Schulstadt!

Im Staatlichen Schulamt sind 135 Grundschulen, 44 Mittelschulen in 13 Verbünden und 29 private Schulen angesiedelt mit insgesamt 54812 Schülerinnen und Schülern und etwa 4500 aktiven Lehrkräften.

Die 11 sonderpädagogische Förderzentren sind der oberbayerischen Regierung zugeordnet. Von den 23 öffentlichen Realschulen unterhält die Stadt 20 und von den 39 öffentlichen Gymnasien 4.

Ferner zählen noch zwei Projektschulen zu den städtischen Schulen: die Städtische Willy- Brandt-Gesamtschule und die Städtische Schulartunabhängige Orientierungsstufe. D. h., dass die Stadt nicht nur Sachaufwandsträger ist, sondern auch die Personalkosten trägt. Diese Schulen sind dem Referat für Bildung und Sport zugeordnet, während die staatlichen Schulen dem Kultusministerium zugeordnet sind.

Die Schulleitung in München übernimmt automatisch ehrenamtlich die Sachwaltung, d. h. sie ist nicht nur für das Personal verantwortlich, sondern auch für den Sachaufwand. Der/die Sachwalter/in ist zuständig für die Bestellung und Inventarisierung von Sachleistungen (Möbel, Geräte, Maschinen, Werkzeug). So ist auch die Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets trotz Protest des MLLV und des Personalrats in Schulleitungshände gelegt worden: „Lehrerinnen und Lehrer sind Pädagogen und für bestmögliche Bildung und Erziehung verantwortlich. Verwaltungsaufgaben müssen zu Lasten der Kinder übernommen werden. Verwaltungsangestellte werden für staatliche Aufgaben bezahlt. Sie können bei dem +sehr engen Zeitbudget keine städtischen Aufgaben übernehmen. Der hohe Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund und den Kindern mit Anspruch auf Sozialleistungen erschwert die Arbeit in Ballungsräumen.“ In der Praxis geht dann z. B. die Schulleitung mit der Mutter mit Fluchthintergrund auf die Bank um 20 € abzuholen, da die Flüchtende natürlich auf kein Bankkonto zurückgreifen kann.

München ist eine attraktive Stadt!

Ein vielfältiges Freizeitangebot zeichnet München aus. 45 Museen und Sammlungen, zwei Opernhäuser, sieben Orchester und große Zahl von unterschiedlichsten Theaterangeboten stehen zur Verfügung und bieten auch die Zusammenarbeit mit Schulen und Projekte mit Klassen an. Viele Grünanlagen werden durch die Seenvielfalt im Umland ergänzt und die nahgelegene Bergwelt lädt zum Winter- und Sommersport ein. Die Freizeitangebote sind vielfältig und teuer. Lokale und Kneipen laden zu Wirtshausrunden ein.

München ist eine stark wachsende Stadt!

München zieht wie ein Magnet Arbeitssuchende, Studierende und Zuwanderer an. München wächst rasant. Derzeit zählt München 1,55 Millionen Einwohner. Laut Prognosen wird die Einwohnerzahl 2022 die 1,7 Millionen-Grenze überschreiten. Mit dem Einwohnerwachstum steigt auch die Geburtenzahl. Bis Schulen fertig gebaut sind, sind sie schon zu klein. Es fehlen oftmals die Räumlichkeiten für den Ganztag, Fachräume werden in Mittagsräume verwandelt und der Fachlehrer zieht schon mal mit einem mit Werkzeug und Material beladenen Wagen durchs Schulhaus. Förderzentrum in sind mehrere Außenstellen aufgeteilt. Schulen arbeiten mit zahlreichen außerschulischen Partnern, Organisationen und Stiftungen. Eine große Grundschule arbeitet in München mit 14 Kindergärten. Der wachsende Lehrerbedarf wird auch mit Lehramtsanwärtern gedeckt, in der Hoffnung, dass sie nach der Prüfung gerne in München bleiben. Dadurch haben die Schule mehrere Lehramtsanwärter/innen, denen man gerecht werden will und es findet jedes Jahr ein Prüfungsmarathon statt. Willkommen sind bei uns auch die Zweitqualifikanten, wenn auch ihre fachgerechte Unterstützung sehr Zeit kostet. Wenn sie nach ihrem Abschluss in der Schulfamilie bleiben können, hat es sich „ausgezahlt“.

München ist eine teure Stadt!

Der anhaltende Zuzug macht Wohnraum in München knapp und teuer. Die Lebenshaltungskosten sind sehr hoch. In der freien Wirtschaft verdient der Münchner auch mehr, aber Beamte verdiene ich in jeder Stadt gleich viel. „Da ist der Euro in München dann nur noch mehr 50 Cent wert.“ Die Münchenzulage wurde vor kurzem erhöht, dennoch gleichen 100 € nicht die höheren Lebenskosten aus. Die Zulage erhalten nur die unteren Einkommensgruppen: Förder- und Fachlehrer in den ersten Verdienstjahren. Diese fehlen in München. Das führt zur unpädagogischen Zusammenlegung von Regel- und Übergangsklassen im Fachunterricht, zu großen Gruppen, zum Vermehrten Einsatz der Fachlehrkräfte in Prüfungsklassen. Bis zu 80 Projektprüfungen muss die Fachlehrkraft dann abnehmen. Nach München versetzte Lehrkräfte möchten aus diesen und weiteren verständlichen Gründen in ihre Heimat zurück. Viele pendeln täglich hin und her, bis zu 200 km. Den Wochenendheimfahrern versucht man mit der, an die Verkehrslage angepassten Einsatzplänen entgegenzukommen. Jedes Jahr hoffen sie, dass die Versetzung klappt. Wenn sie dann nachhause gehen, hinterlassen sie eine Lücke. An manchen Schulen erneuert sich das Kollegium in 4 Jahren fast vollständig. Eine kontinuierliche und nachhaltige Schulentwicklung ist hie schwer umsetzbar. Aber gerade Kinder 0aus prekären Situationen brauchen Beständigkeit. Sie gibt ihnen Halt und Sicherheit, genau das, was sie im Elternhaus häufig nicht erhalten. Der erhöhte Lehrerbedarf in München wir durch Versetzung von Pädagogen nach München gedeckt, Doch jedes Jahr treten bis zu 70 Junglehrkräfte ihren Dienst nicht an, weil sie nicht München möchten. Es werden viele Junglehrkräfte in München eingesetzt. Nach den Prüfungen gehen sie die Familienplanung an und erwarten meist sehr schnell Zuwachs. Mit dem Beschäftigungsverbot ist ihr Einsatz in München dann schnell beendet. Die Mobilen Reserven reichen nicht aus, obwohl das Schulamt vorausschauend großzügig plant. Die Mobilen Reserven werden nicht bedarfsorientiert an die Schulämter gegeben. Im Schulamt München betreut ein Schulrat / eine Schulrätin dreimal soviel Lehrkräfte als auf dem Land. Meist arbeiten beide Elternteile, bzw. sind an mehreren Arbeitsstellen beschäftigt, um sich das teure Leben leisten zu können. In München leben 165.000 Kinder von 0 bis 14 Jahren. 21.000 Kinder bekommen Sozialgeld, weil ihre Eltern zu wenig Einkommen haben. Die Schulen kooperieren mit Stiftungen. Diese arbeiten schnell und unkonventionell.

München ist eine bunte Stadt!

25 Prozent der 1,46 Millionen Einwohner Münchens sind ausländische Mitbürger. Sie stammen aus über 180 verschiedenen Nationen. Für Ausländer ist München damit eine der beliebtesten deutschen Städte. Es gibt über 100 Konsulate. Im Kindergartenalter hat jedes 2. Kind Migrationshintergrund. Das Leben in der Vielfalt ist mit Herausforderungen verzahnt. Verwaltungsvorgänge benötigen Unterstützung und Zeit. Förder- und Sondermaßnahmen sollen die Sprachdefizite ausgleichen. Dennoch klagen die Handwerkskammern und die Wirtschaft, dass die Jugendlichen über keine Bildungssprache verfügen. Münchner Daten im Schuljahr 2017/18: 86 Übergangsklassen in Grund- und Mittelschulen, ca. 151 Deutschförderklassen, ca. 1550 Deutschförderstunden, 5220 Kinder werden in 434 Vorkursen vorbereitet. Diese Stunden sind dringend notwendig, damit die Kinder die Sprachdefizite aufholen können. Jede Stunde, die mit einer Vertretungsstunde ersetzt wird, ist ein Verbrechen an der Integration.

Die zentrale Frage der Zukunft wird sein: „Welche politischen Weichenstellungen braucht die Großstadtschule, angesichts der großen Herausforderungen?“

Waltraud Lučić