DENKBAR? DANKBAR DEN FACHLEHRERINNEN FÜR ERNÄHRUNG UND GESTALTUNG


DENKBAR? DANKBAR DEN FACHLEHRERINNEN FÜR ERNÄHRUNG UND GESTALTUNG

Interview mit der Projektleiterin des bayernweiten Schulfrühstücks „denkbar“ Sieglinde Stanzl, Fachlehrerin

MLZ: Frau Stanzl, was war der Auslöser für Ihr BLLV-Frühstückprojekt denkbar und schließlich „denkbar-R“?

Stanzl: Begonnen hat es mit dem Frühstücksprojekt „denkbar“ bereits im Jahr 2011. Damals kam der Verein Sternstunden, eine Benefizaktion des Bayerischen Rundfunks, auf uns zu. Es gab etwa 40 Frühstücksprojekte in Bayern, aber es fehlte die professionelle Begleitung. Waltraud Lucic, Fachlehrerin und damals BLLV-Vizepräsidentin setzte sich dafür ein, dass die BLLV-Kinderhilfe diese Begleitung übernahm und, dass der Kultusminister eine Lehrerstelle zur Verfügung stellte. Die Stundenanrechnung wurden unter der projektbegleitenden Fachlehrerinnen aufgeteilt: Edeltraud Jornitz-Foth, Brigitte Eisenhut, Susanna Zagler und Sieglinde Stanzl. Bis 2014 hatten wir etwa 110 Projektschulen und Kindertagesstätten. Zu Beginn stellte Sternstunden jährlich 800 000 € zur Verfügung. Mit jedem Jahr wurde der Betrag geringer. Die Idee der Sternstunden e. V. war die Anschubfinanzierung, d. h., Sternstunden stellt jedes Jahr weniger Geld zur Verfügung. So mussten nach und nach immer mehr Gelder akquiriert werden, um den Schulen und Kindertagesstätten auch weiterhin das kostenlose Frühstück und die Finanzierung eines Frühstückslotsen zu ermöglichen. Waltraud Lucic kooperierte mit Uschi Glas und ihrem Projekt „BrotZeit“, akquirierte Gelder und wandte sich an die Politik. 2014 ließ Ministerpräsident Seehofer in die Regierungserklärung schreiben, dass kein Grundschulkind mehr hungrig in den Unterricht kommen muss. Das Pilotprojekt wurde Uschi Glas und Waltraud Lucic in die Hand gelegt. So entstand die Kooperation des BLLV mit dem Sozialministerium. Dieses Projekt erhielt den Namen „denbar-R“, R wie Regierung, dem Förderer dieser Frühstücke. Somit fahren wir seit 2014 zweigleisig - „denkbar-R“ Projekte von der Regierung gefördert und „denkbar“, das nach wie vor auf Spendengelder angewiesen ist. Eine Lockerung der strengen Regularien des Regierungsprojekts würde eine Zusammenlegung und damit Erleichterung ermöglichen. Dies zu erreichen ist mein großer Wunsch.

MLZ: Welche Regularien sind das denn?

Stanzl: Es werden nur Grundschulen und Fördergrundschulen finanziert, zudem nur in einigen Regionen. Pech, wenn die Schule außerhalb der Regionsgrenze liegt. Hinzu kommt, dass das Frühstück vor dem Unterricht stattfinden muss. Gerade in Deutschklassen könnte der Spracherwerb spielend beim Frühstücken erfolgen. Des Weiteren müssen Schulen die räumlichen Voraussetzungen, einen Frühstückslotsen und einen Förderverein als Träger bieten können. „Denkbar-R“ darf erst ab 20 Kindern angeboten werden. In einer kleinen Schule finden sich oft nicht so viele bedürftige Kinder.  

MLZ: Wer kann Frühstückslotse sein?

Stanzl: Nicht immer ist es einfach, Frühstückslotsen zu finden. Bei einer Ehrenamtspauschale von unter 200 Euro monatlich gehört schon eine gute Portion Idealismus dazu, jeden Tag sehr zuverlässig früh am Morgen für die Kinder da zu sein. Allerdings bestätigen uns Frühstückslotsen auch, dass ihnen die Aufgabe sehr viel Spaß macht und die Kinder ihnen viel zurückgeben. Sie erzählen oft mit Begeisterung von ihren Kindern, die nach und nach viel Vertrauen zu ihnen gewinnen. Oft sind die Lotsen eine wichtige Bezugsperson für das Kind. Frühstückslotsen sind oft Senioren, die hier eine schöne, sinnvolle Aufgabe finden und sehr gerne Zeit mit Kindern verbringen. Auch Schülereltern oder pensionierte Lehrkräfte sind als Frühstückslotsen tätig. Wichtig sind eine Erstbelehrung nach den Hygienerichtlinien sowie ein polizeiliches Führungszeugnis. Wir schulen „unsere“ Frühstückslotsen, geben ihnen Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch und zum Beantworten von Fragen bei unserer jährlichen Veranstaltung. Hier erhalten die Lotsinnen/en auch die alle zwei Jahre erforderliche Nachbelehrung in Hygienefragen. Als Fachlehrerin für Ernährung und Gestaltung habe ich die Berechtigung dafür.

MLZ: Woran liegt es, dass so viele Kinder ohne Frühstück in die Schule gehen?

Stanzl: Kinder kommen aus unterschiedlichsten Gründen ohne Frühstück am Morgen in die Schule. Ein Harz IV –Empfänger erhält gerade mal 2,77 Euro pro Tag für die Ernährung eines Kindes. Das ist tatsächlich extrem knapp gemessen. Wenn Eltern dieses Geld nicht wirklich für ihr Kind und deren Ernährung ausgeben oder es ihnen schwer fällt, sinnvoll damit zu haushalten, dann sind letztlich immer die Kinder die Leidtragenden. Manchmal sind Eltern auch schlichtweg mit ihrer Erziehungsaufgabe überfordert und selbst in einer schwierigen Lebenssituation. Stichworte sind hier Depressionen, Krankheit, Suchtprobleme. Manche Eltern müssen oftmals schon sehr früh am Morgen außer Haus und die Kinder sind sich selbst überlassen. Die Kinder stehen oft schon sehr früh am Morgen, sehr verloren vor den Schultoren. Uns geht es um das Kind – das Kind, das selbst keinen Ausweg aus der Situation finden kann. Kein Kind soll wegen eines fehlenden Frühstücks schlechter lernen können und damit einen Bildungsnachteil erleiden. Und es trifft gerade die Kinder, die ohnehin einen viel schwereren Start ins Leben haben. Dann gibt es Kinder, die mit einer Tüte Chips oder einem Schokoriegel in die Schule kommen. In vielen Familien gibt es schlichtweg keine Frühstückskultur. Wir wünschen uns, dass unsere Kinder dieses wichtige Erleben, gemeinsam am Morgen eine Mahlzeit einzunehmen, später, wenn sie selbst Eltern sind, an ihre Kinder wieder weitergeben.  

MLZ: Wer übernimmt die Trägerschaft für das Projekt?

Stanzl: Meist sind es Fördervereine der jeweiligen Schulen. Es gibt auch kirchliche Träger wie z. B. Ortscaritasverbände, Organisationen wie der Kreisjugendring oder Initiativen wie z. B. das Freiwilligenzentrum Fürth. Tatsächlich ist es nicht immer leicht für die Schulen einen Träger zu finden, wenn kein Förderverein an der Schule besteht. Und gerade in Brennpunktschulen fehlt manchmal dieser Förderverein.  

MLZ: Was wird bei dem Schulfrühstück angeboten?

Stanzl: In unseren Schulungen für die Frühstückslotsen legen wir auch großen Wert auf eine Ernährungsaufklärung. Im Idealfall gibt es gutes, möglichst vollwertiges Brot, Müsli – mit geringem Zuckeranteil, also z. B. eine Getreideflockenmischung ganz ohne Zucker, ein Milchprodukt und Obst. Hinzu sollte ein zuckerarmes Getränk gereicht werden. Das sind unsere Empfehlungen. Wir sehen bei unseren Schulbesuchen, den Dokumentationen der Projektschulen oder auch bei den Abrechnungen, dass die Frühstückslotsen sich sehr große Mühe geben, gesundes und vollwertiges Frühstück anzubieten. Natürlich darf auch mal etwas Süßes auf den Tisch, aber grundsätzlich soll unser Frühstück den Weg in eine ernährungsphysiologisch ausgewogene Ernährung anbahnen. Wir achten auf Regionalität und biologische Nahrungsmittel. Dennoch sind wir erstaunt, mit wie wenig Geld unsere Lotsen tolles Frühstück für ihre Kinder zaubern können und welch kreative tolle Ideen sie haben. Ganz bewusst wollen wir die Lotsen hier auch selbst kreativ werden und ihr eigenes Frühstück entwickeln lassen. Viele befragen auch die Kinder und versuchen, einen gesunden Kompromiss zwischen Ernährungsvorgaben und Kindervorlieben zu finden.  

MLZ: Profitieren auch die Schulen von dem Schulfrühstück?

Stanzl: Es ist uns ein echtes Anliegen zu vermitteln, dass gerade die Schulen und Lehrkräfte davon profitieren. Warum? Das Frühstück in einer Wohlfühlatmosphäre und in sozialer, emotionaler Geborgenheit genossen, wirkt weit in den Schulvormittag hinein. Viele Schulleitungen bestätigen uns, dass gerade Kinder mit emotionalen Problemen nach dem Frühstück weniger aggressiv, gelassener und motivierter in den Tag starten. Und davon profitieren natürlich auch die Lehrkräfte. Man weiß ja selbst, wenn man Hunger hat, sinkt oft die gute Laune.  

MLZ: Wie kann man das Projekt unterstützen?  

Stanzl: Unser „denkbar“-Projekt ist nach wie vor auf Spendengelder angewiesen. Wer Organisationen, Firmen oder Stiftungen kennt, die als Spender in Frage kommen – bitte bei uns melden. Wir freuen uns, wenn über das Projekt gesprochen wird. Es soll bekannt werden – gerade „denkbar-R“ kann noch einige Schulen aufnehmen. Sollte jemand mögliche Frühstückslotsen kennen, so bitten wir darum, mit uns Kontakt aufzunehmen. Auch hier vermitteln wir sehr gerne.

Das Interview führte Kati Stein, MLLV-Presseteam



Frau Stanzl, Ich möchte Ihnen und Ihrem Team, das Sie mit liebevoller,

unaufgeregter und umsichtiger Hand führen,

persönlich und im Namen des MLLV ein herzliches Dankeschön sagen.

Richten Sie Gabriele Mock vom denkbar – Team und Azra Basakinci und

Christiane Runge vom denkbarR-Team ebenso unseren Dank aus. Kati Stein



Die Projektleiterin des bayernweiten Schulfrühstücks „denkbar“,

Fachlehrerin Sieglinde Stanzl, wird von Pressereferentin Kati Stein interviewt.